Großkonzerne auf Kurs bringen – wie Veränderungen im großen Stil gelingt

Von Helene Smuts (übersetzt aus dem Englischen)

In seinem eher seltsam lautenden Buch „Das Luzifer Prinzip“ beschreibt der Autor Howard Bloom ein Experiment, bei welchem eine große Gruppe von Kindern in kleinere Gruppen von fünf oder sechs Kindern eingeteilt wurde. Die Kinder in diesen kleineren Gruppen übernahmen sodann spontan bestimmte archetypische Rollen – den Anführer, den Rebellen, den Witzbold, den Nerd, den Macho und so weiter.

Als jedoch alle Anführer aus ihren Gruppen herausgeholt und in eine eigene Gruppe eingeteilt wurden, geschah etwas sehr Interessantes: Eines der Kinder blieb in der Führungsrolle, die anderen aber übernahmen die anderen archetypischen Rollen. Die jungen Anführer, die in der Gruppe neu zusammenkamen, verwandelten sich urplötzlich in Rebellen und Witzbolde. Und die Rebellen, die wiederum zusammen in eine Gruppe gesteckt worden waren, brachten aus ihren Reihen einen Anführer hervor.

Dies zeigt, dass unsere „soziale Stellung“ stets durch unsere unmittelbaren Mitmenschen und Umwelt beeinflusst wird. Wichtig dabei ist, dass jeder Archetyp eine wichtige Rolle in der Gruppe spielt. Es geht also nicht nur darum, die Rebellen und Narren zum Schweigen zu bringen, sondern auch anzuerkennen, dass sie unter anderen Umständen mutige Führer und gewiefte Analytiker sein können. Daher ist es wichtig, die Ideen jedes Archetyps zu berücksichtigen, da nur so ein vollständiges Bild entstehen kann.

Wir bei CONTRACT verstehen unsere Aufgabe darin, einen Rahmen zu schaffen, in dem alle Beteiligten wertvolle Beiträge leisten können, indem sie sowohl die Möglichkeit als auch die Freiheit haben, ihre Rolle zu spielen.

Buy-in – der schwierige Teil

Im Juni diesen Jahres war CONTRACT an einem Großprojekt für einen multinationalen Industriekonzern mit Sitz in Deutschland beteiligt. Ein Familienunternehmen, das sich zum weltweit größten Unternehmen in seinem Segment entwickelt hat. Zwischen 2008 und 2016 wuchs die Belegschaft des Unternehmens um 70% auf weit über 11.000 Mitarbeiter und betreibt mittlerweile Handel in 65 Ländern.

Das besonders schnelle internationale Wachstum und die Expansion des Unternehmens stellten die Eigentümer vor die Herausforderung, ihre Betriebsstrukturen anzupassen. Als Familienunternehmen sind gemeinsame Werte und eine gemeinsame Vision integraler Bestandteil der Kultur und des Erfolgs des Konzerns. Aber wie hält man dieses Prinzipien als riesige multinationale Organisation aufrecht?

Eine wichtige Frage. Erfolg führt zu Wachstum, und schnelles Wachstum ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite steht der Traum eines Aktionärs – verbesserte Erträge und der Wunsch, den Wachstumsschwung aufrechtzuerhalten; auf der anderen Seite kann eine Flut von neuen Mitarbeitern und Tochtergesellschaften zu Silodenken und Ineffizienzen führen.

CONTRACT wurde beauftragt, mit über 100 der obersten Führungskräfte und Manager aus aller Welt, auf einem einwöchigen International Operations Meeting (IOM) in Deutschland zusammenzuarbeiten, um die globalen Aktivitäten zu straffen und teilweise zu zentralisieren.

Um dies zu erreichen, mussten wir zunächst einen Buy-In schaffen. Also teilten wir die Teilnehmer in Gruppen auf und nahmen uns Zeit, um eine gemeinsame Vision zu entwickeln, die das Unternehmen für die nächsten fünf Jahre leiten würde. „Buy in'“ mag abgedroschen klingen, aber es ist das Fundament einer jeden Unternehmenskultur. In einem globalen Unternehmen, das bestrebt ist, sowohl seine Regionalbüros zu stärken als auch wichtige Teile seiner Geschäftstätigkeit durch Zentralisierung zu rationalisieren, war der Buy-In jedes dieser 110 globalen Marktführer entscheidend.

Hier ist der Grund: Als es sodann darum ging, die gemeinsam erarbeitete Vision in konkrete Schritte und Handlungen umzusetzen, wurde deutlich, dass sich die Rollen und Verantwortlichkeiten einiger Menschen ändern mussten. Dabei kamen bei einigen Akteuren natürlich Ängste und Zweifel auf. Nicht nur, dass es einen gewissen Wettbewerb zwischen den Divisionen und Niederlassungen gab (den das Unternehmen durch Konsolidierung und Zusammenarbeit bewältigen wollte), einige Einzelpersonen begannen auch, sich in dieser neuen Ordnung über ihre persönliche und unmittelbare Zukunft zu sorgen.

Vor allem zwei Personen in meinem Workshop fühlten sich durch die neue Ordnung bedroht. Zu Beginn der Brainstorming-Sitzungen standen sie der Veränderung zwar nicht komplett negativ gegenüber, aber sie spielten definitiv die Rolle „Teufels Advokat“. Denken Sie nun nochmal an das oben beschriebene Experiment von Harold Bloom: Hier handelte es sich um Führungskräfte, die es an die Spitze eines äußerst erfolgreichen multinationalen Konzerns geschafft hatten, und nun unter diesen neuen Umständen eine völlig unerwartete Rolle spielten.

Das war der Zeitpunkt als der erste Teil des Workshops zum Tragen kam. Indem die strukturellen und operativen Veränderungen mit kulturellen und strategischen Imperativen unterlegt wurden, wurden die Zweifel und Bedenken durch Möglichkeiten und Potenziale ersetzt. Und als die Zweifler begannen, sich ihren Platz in der neuen Ordnung vorzustellen, als sie die Möglichkeiten für Entwicklung und Wachstum zu sehen begannen, wurde ihre persönliche Veränderungsreise zu einem wertvollen Beitrag.

Der CEO des Unternehmens formulierte es sehr trefflich, als er aufstand und sagte (ich paraphrasiere hier): „Stellen Sie sich das Hauptquartier der NASA während einer Mission vor. Die Abläufe dort sind zentralisiert und stark automatisiert, aber all diese Computer liegen nicht nur in der Verantwortung einer Person. Ja, es könnte Veränderungen und vielleicht sogar einige Verlagerungen erfordern, aber wir alle werden davon profitieren, wenn wir uns in die gleiche Richtung bewegen.“

Hört auf die Advokaten des Teufels! Sie bestimmen die Qualität der Veränderung

Eines der Dinge, die ich an meinem Job liebe, ist, dass er ein kontinuierlicher Lernprozess ist. Kein Workshop gleicht dem anderen, weil kein Unternehmen dem anderen gleicht. Und kein Unternehmen gleicht dem anderen, weil kein Mitarbeiter (oder Kunde) dem anderen gleicht.

Die Erfahrung hat mich jedoch gelehrt, dass all diese Variablen gehandhabt werden können, wenn man auf den Prozess vertraut. Veränderung ist nie einfach oder bequem, aber durch die Überwindung der Hindernisse und das Ernstnehmen der Unsicherheiten der Menschen können wir zu besseren Ergebnissen gelangen. Advokaten des Teufels sind ebenso wichtig wie begeisterte Optimisten. Unsere Rolle als Moderatoren ist es, sichere Räume zu schaffen, in denen sich diese Gefühle entfalten können. Manchmal wird es unangenehm sein, aber am Ende lohnt es sich immer.

Geduld ist dabei der Schlüssel. Menschen gehen mit Veränderungen und Störungen auf unterschiedliche Weise um. Und die Reaktion einer Person auf bestimmte Entwicklungen ist kein Hinweis auf ihre Gesamtproduktivität oder ihr Engagement für die Unternehmenswerte. Im Gegenteil: Widerstand ist nicht selten ein Zeichen für große Verbundenheit mit dem Unternehmen.

Einer meiner Kollegen bei CONTRACT hat es so formuliert: „Desorientierung ist oft ein notwendiger Schritt, um etwas qualitativ Neues zu entwickeln. Wenn du jedoch damit beginnst, übergreifende Ziele aufzuzeigen, wirst du eine solide Grundlage haben, auf der du einen Weg zeichnen kannst, um diese Ziele zu erreichen.“

Wir können hieraus mehrere Lehren für uns ziehen. Wenn Sie das nächste Mal in einer Besprechung sind – sei es bei einem schnellen Überblicksmeeting an einem Montagmorgen oder einer globalen Konferenz – hören Sie sich die Einwände sorgfältig und wohlgesinnt an. Denken Sie daran, dass unsere Rollen oft von den unmittelbaren Umständen abhängen. Und mit den richtigen Schritten kann der Rebellenschrei einer Person zum Schlachtruf derselben werden.

Dorothee Abrell

Trainerin, Beraterin und Coach.

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