New Work – keine schnelle Lösung für die VUCA-Welt!

Unser Autor ist der Meinung, dass New Work zu oft als süße Verlockung daherkommt, schnelle Antworten auf eine immer komplexere (Arbeits-)Welt zu liefern. Daher schreibt er gegen ein zu vereinfachtes Verständnis von New Work. Und präsentiert seine New Work-Agenda.

Die Welt des New Work verheißt wunderbare Versprechungen. Ich kann mich dafür entscheiden, was ich wirklich wirklich will, zeitlich und örtlich flexibel arbeiten, im Unternehmen mehr Selbstverantwortung übernehmen und in echtem Teamwork bewusst kreativ sein und dabei mich selbst entfalten. Möglich wird dies unter anderem durch flachere Hierarchien, durch eine wertschätzenden Du- und Feedbackkultur oder durch den Verzicht auf althergebrachten Bürodünkel. Und profitieren können wir alle: ich als Angestellter durch mehr Freiheiten, als Selbstständiger in der Gig Economy durch noch mehr Freiheiten und noch mehr Sinnerfahrung und Selbstverwirklichung sowie die Führungskräfte und Unternehmen durch MitarbeiterInnen, die mitunternehmerisch mit hoher Aufmerksamkeit unterwegs sind und intrinsisch durch den Glauben an Selbstverwirklichung motiviert.

Jeder packt seinen eigenen New Work Koffer

New Work ist ein Kofferbegriff, also ein Begriff, der unterschiedlich gefüllt werden kann. Mein Eindruck ist aber, es kommt viel Verlockendes hinein, der Zwang dahinter wird aber nicht ausreichend beleuchtet. Und das obwohl die alten Ideen von Frithjof Bergmann, der den Begriff erstmals prägte, sich längst ja nicht bestätigt haben, aber scheinbar vor allem aus Geschichtskitschgründen immer wieder ausgepackt werden. Der Mensch ist bislang nicht von der Lohnarbeit befreit. Wir arbeiten nicht (nur) aus Spaß und Sinnerfüllungsgründen, sondern vor allem, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen – und dabei auch wirtschaftlich ein schönes Leben zu haben.

Mehr Freiheit heißt nicht immer mehr Wahlfreiheit

Ich glaube der Begriff des New Work macht uns etwas vor. Er verkauft uns die aktuellen und kommenden Freiheiten des Arbeitslebens als eine großartige Errungenschaft. Nicht selten geht mir dabei in der Debatte unter, dass Unternehmen und Organisationen heute oftmals gezwungen sind, diese Freiheiten zu geben, weil sie in der sich stets beschleunigenden VUCA-Welt um ihr Überleben fürchten müssen. Das heißt genauso, dass ich als Einzelner in Freiheiten geworfen werden, ob ich es will oder nicht.

Und zugleich war die gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte eine, in der der einzelne Mensch immer mehr selbst gestalten musste. So gesehen, kommt New Work als Konzept für eine andere Arbeit doch ziemlich verspätet.

Steht Selbstverwirklichung wirklich an der Spitze all unseres Tuns?

Wenn ich Selbstverwirklichung als eines der großen Stichwörter des New Work höre, denke ich gleich an Abraham Maslow. In seiner Bedürfnispyramide findet sich die Selbstverwirklichung an der schmalen Spitze und darunter reihen sich Individualbedürfnisse, soziale Bedürfnisse, Sicherheitsbedürfnisse und körperliche Bedürfnisse, die den Grundstein bilden. Wenn ich damit auf die heutige Zeit blicke, fällt mir nicht unbedingt als erstes auf, dass Selbstverwirklichung endlich möglich wird. Vielmehr gewinne ich den Eindruck, dass durch die Pyramide Risse verlaufen – und zwar deswegen, weil die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung der letzten Jahrzehnte es schwieriger gemacht haben, die darunter liegenden Bedürfnisse zu befriedigen.

Wer nicht Tempo hält, hat auch in New Work schlechte Karten

Was der Soziologe Hartmut Rosa seit Jahren in dicken Büchern beschreibt, erleben wir jeden Tag. Die Welt scheint sich immer schneller zu drehen. Und dieses Beschleunigungserlebnis ist mit dem Coffee‑to‑go, Power Nap oder Multitasking längst in unsere Sprache eingewandert. Handy und Computer lassen uns per second oder third screen mehrere Wirklichkeiten gleichzeitig erleben. Dabei fällt es uns zunehmend schwerer Entscheidungen zu treffen. Rosa spricht davon, dass wir beginnen zu driften, weil wir uns immer wieder ein Hintertürchen offenlassen. Per WhatsApp ist der Alltag ja vermeintlich schnell umorganisiert. Und zugleich verlieren wir im Galopp durch unsere Social Media Welten, E-Mails und digitalen Arbeitsplattformen tiefe, innige Beziehungen, obwohl wir dank der Glücksforschung ja wissen, dass es gerade auf diese ankommt. Wer dabei im Arbeitsleben auf die Bremse treten will, wird es schwer haben immer noch seine New-Work-Nische zu finden.

Flexibilisierung und Entgrenzung der Arbeit

Apropos Arbeit: Seit Jahrzehnten wachsen befristete Arbeitsverhältnisse, Teilzeitverhältnisse, Leiharbeit und Minijobs. Vor 10 Jahren als ich auf den Arbeitsmarkt kam, war die Rede vom „Neuen Prekariat“ und der „Generation Praktikum“. Douglas Coupland spricht in seinem Buch „Generation X“ von 1991 schon davon, was ich knapp 30 Jahre später immer noch höre: „Unsere Eltern hatten mehr“.

Aber nicht nur was die ökonomisch Leistungsfähigkeit ausmacht, auch im Hinblick auf die Erwartungen im Job hat der Druck spürbar zugenommen. Change ist im Unternehmensalltag zum geflügelten Wort geworden, wobei zugleich Leistungsanforderungen steigen, Teams selbstverantwortlich Risiken übernehmen sollen, für die früher mit entsprechendem finanziellen Ausgleich Führungskräfte die Verantwortung übernommen haben. Und zugleich ermöglichen Handy, E-Mail, Messenger und Apps eine so dichte Überwachung des Arbeitsnehmers, dass das Büro als Disziplinierungsapparat (à la Michel Foucault) heute wirklich nicht mehr nötig ist.

Du kannst dich nicht nicht entscheiden

„Wenn’s dir nicht passt, kannst du ja den Job wechseln“, könnte man da zurecht einwenden. Vielleicht sollten wir sogar den Job wechseln – und das am besten öfters. Nicht umsonst ist schließlich die Rede von der Multioptionsgesellschaft. Wir können uns heute immer wieder neu erfinden; im Gegensatz zu Generationen an Vorfahren, die machen mussten, was vorgegeben war und sich Freiheiten mühsam erkämpft haben.

Das heutige Modell lastet demgegenüber das Risiko von Entscheidungen besonders dem Einzelnen auf, verspricht dabei aber – nicht zu Unrecht – die Chance auf ein verbessertes Leben; wenn man sich nur richtig entscheidet. Entscheiden müssen wir uns heute nicht nur bei unserer Arbeitsbiografie mehr als einmal. Genauso dürfen und müssen wir heute alle Aspekte unseres Lebens von der Einrichtung der Wohnung, über die Freizeit, der Art des Essens oder der Gestaltung des Körpers immer wieder neu entscheiden. Und jede Entscheidung sei wohl überlegt, wird sie doch schnell online, besonders in der Social Media (von Linked-In, über Twitter bis Instagram) mitgeschnitten. Durchschnitt war vorgestern. Wir leben im Zeitalter der Singularität, wie es der Kulturwissenschaftler Andreas Reckwitz pointiert formuliert hat.

Der Einzelne kann sich heute über seine Entscheidungen, die er trifft und die er der Welt wissen lässt, besonders, ja singulär, machen. Daraus lässt sich natürlich wiederum Kapital schlagen, auch wenn es nicht zum Influencer reicht. Denn: Kontakte sind Gold wert, je mehr und umso diverser desto besser, gerade in der New Work. Kein Wunder, dass dies manchen zu viel wird – und mit der Entwicklung von Burnout und Depression zu Volkskrankheiten, die „Müdigkeit man selbst zu sein“ dank Alain Ehrenberg ein gut beschriebenes Phänomen ist.

Sinnsuche als Alltagsrituale

Natürlich scheint es daher nicht verwunderlich, dass Selbstverwirklichung und Sinnsuche sich immer größerer Beliebtheit erfreuen. Zumal die Zahlen zu Kirchenzugehörigkeiten und Religionsanhängern seit Jahren zurückgehen. Rituale des Sinnsuchens pflegen wir heute in unseren Alltag ein, etwa wenn wir die Besinnlichkeit an Weihnachten zelebrieren, uns im Urlaub endlich mal uns selbst zuwenden oder unserem Inneren im Coaching und der Persönlichkeitsentwicklung richtig auf den Grund gehen. Hier scheint das Selbsterfüllungsversprechen des New Work ein zusätzliches willkommenes Angebot zu sein, das aber das strukturelle Problem, sich selbst in der Welt verorten zu müssen, sowie Hoffnung für das eigene Leben zu gewinnen, nur zum Teil wird lösen können.

New Work als Einladung Arbeit miteinander zu gestalten

Wenn ich all das vor Augen führe, sehe ich, dass der Einzelne mit seinem überbordenden Freiheitserleben zum Teil ganz schön unter Druck ist. Daher möchte ich das Konzept des New Work als die Chance verstehen Arbeit miteinander zu gestalten zum gegenseitigen bestmöglichen Wohlergehen. Je nachdem welche Prämissen in einem Unternehmen dominieren, können dabei aber sehr unterschiedliche Ergebnisse herauskommen.

Bei dem, was mir persönlich wichtig ist und wie ich Arbeit gestalten möchte, spüre ich meine Herkunft aus einem mittlerweile 81 Jahre alten Familienunternehmen. Gerade was Zeit- Entwicklungs- und Gewinnperspektive angeht, können Familienunternehmen, Start-Up, Konzerne oder öffentliche Verwaltungen sich erheblich unterscheiden. Mit dem Konzept des New Work können die Prämissen des Einzelnen und die der Organisation thematisiert und miteinander geklärt werden.

Meine Agenda für New Work als Chance für langfristige Entwicklung

In diesem Sinne möchte ich an der Stelle gerne meine Lesart von New Work als Chance für ein langfristiges Zusammenarbeiten und miteinander Sein ausformulieren:

  • Ich verstehe, New Work als die Chance mit meinen KollegInnen, Führungskräften und Shareholdern ein Modell auszuhandeln, wie und wofür wir miteinander arbeiten und einstehen wollen. Dabei vereinbaren wir auch miteinander, welche Freiheiten und Freiheitsgrade wir uns gegenseitig zugestehen wollen. Das Modell ist in einem lebenden sich weiterentwickelnden Organisations- oder Teamvertrag festgeschrieben.
  • So wie die Mitarbeitenden im Unternehmen (nicht die wichtigste Ressource sondern) das Unternehmen selbst sind, wäre das natürliche Gewinnbedürfnis der Shareholder eine wichtige Referenz für die Organisation des Unternehmens, die genauso mit den Interessen und Freiheiten der anderen Systemmitglieder ausgehandelt werden kann, um den größtmöglichen gemeinsamen Nenner zu finden. Stichwort ist hier miteinander geteilte Transparenz.
  • Unter diesen Bedingungen müsste, das Mindestmaß an gemeinsamer Struktur klar geregelt sein und auch die gegenseitigen Erwartungen zwischen Mitarbeitenden, KollegInnen und Führungskräften.
  • In der New-Work-Organisation können die Mitglieder gemeinsame Vereinbarungen über ihre Beziehungsgestaltung miteinander treffen und sind dazu angehalten sich gegenseitig miteinander im Sinne ihrer gemeinsamen Absprachen und des dahinterliegenden Teamvertrags zu steuern. Die Menschen arbeiten nicht nur miteinander, sie verbringen einen Großteil ihrer Lebenszeit miteinander und können es immer wieder zum Thema machen, wie sie sich dabei begegnen wollen.
  • Natürlich kann kein New-Work-Unternehmen gut überleben, dass nur die Innensicht pflegt. Gerade die aktuellen Zeiten sind zurecht geprägt von hoher Kundenorientierung und davon unter dem Stichwort „outside in“ die eigene Umwelt in hohem Maße als Anlass zu Entwicklung und Veränderung zu nehmen. Deswegen sollten genauso wie die inneren Verhältnisse auch die Qualitätsanforderungen in der Arbeit und gegenüber dem Markt und den Kunden miteinander vereinbart und stets weiterentwickelt werden. Dabei sollten auch Chancen und Risiken von Entscheidungen in passenden Unternehmensforen miteinander abgewogen und entschieden werden.

Wie so häufig gilt für New Work nichts anderes wie für viele andere Themen: Am Ende macht‘s der Mensch – und den Anfang macht er auch! In diesem Sinne gehen wir’s an und gestalten unsere (neue) Arbeit miteinander!

Simon Pfersdorf

Berater, Trainer und Coach.

-> ZUM PROFIL
KONTAKT
close slider

    Nehmen Sie telefonisch mit uns Kontakt auf oder schicken Sie uns eine Nachricht
    +49 (0) 721-92 06 7-0






    * Pflichtfeld

    Sie können Ihre Entscheidung zum Thema Cookies jederzeit widerrufen, indem Sie auf „widerrufen“ klicken: widerrufen