Mutig Machen in Kulenkampffs Wohnzimmer
Wiesbaden, Rhein-Kongress-Center vormals Rhein-Main-Halle.
Zugegeben, nach dem Refit der letzten 10 Jahre sieht diese Ort schon fast wie ein Meeting Tempel aus. Eine anmutige Säulenreihe stützt das Vordach, hinter dem sich die hohen und weiten Hallen erstrecken. Ein Hauch von James-Simon-Galerie nur ohne Museumsinsel.
Wo heute der Deutsche Stiftungstag 2025 stattfindet hat in den 60er Jahren Hans-Joachim Kulenkampff die damalige Bundesrepublik vor dem Fernseher zusammen gebracht. EWG – Einer wird Gewinnen oder auch „lasst uns Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft spielend zusammen bringen“. Kulenkampff, der gut gelaunte Weltenerzähler, der mit seinen nur wenig vorbereiteten, auch ein wenig dilettierenden Teilnehmenden Allgemeinwissen auf Abitursniveau durchging, brachte etwas weltoffene Perspektive in die bürgerlichen bis kleinbürgerlichen Wohnzimmer der alten Bundesrepublik. Am Ende ließ er sich von seinem als Butler getarnten Produzenten „Herrn Martin“ in einem kleinen despekttierlichen Dialog in die Kulissen verabschieden. Der geschätze Herr Martin Jente war allerdings wenige Jahrzehnte vorher bei der SS gewesen. Das kam erst später heraus. Irgendwie passte das auch in die Zeit.
Nach diesem Ausflug in die Geschichte landete ich im komplett und sehr kompetent bespielten Hier und Heute des Deutschen Stiftungstags 2025. Das Motto Mutig Machen setze die Tonalität. Die Zeiten sind so. Sie brauchen das Machen und das erfordert Mut.
Schon der Einstieg mit Joachim Gauck in der abgedunkelten Halle Nord skizzierte ein Portrait der Zeit, das berechtigte Sorgen um die Gesellschaft, die Humanität, den Frieden und die Grundlagen unserer Existenz wie der Natur den Chancen und den Notwendigkeiten zu Handeln gegenüber stellte. Gauck ist kein Prophet des Untergangs, im Gegenteil. Er ist ein faszinierender Redner, der es einem leicht macht seinen Gedanken zu folgen. Auch und gerade, wenn er von seinem Redemanuskript abweicht, was er gleich mehrfach tat. Sein Lebensthema Freiheit kombiniert er schon länger mit Verantwortung. Da hinzu brachte er das Thema der Verteidigung. Zur Verantwortung gehört auch, dass wir uns verteidigen. Das sieht er sowohl innenpolitisch als auch außenpolitisch. Gegen diejenigen, die Freiheit
bedrohen bedürfe es mehr als das Schulterzucken über deren Ignoranz und diplomatisch formulierten Protestnoten. Das Gefühl doch recht zu haben, reicht eben nicht. Für die Freiheit, und damit verbunden für die Freiheit und Menschenwürde aller, einzutreten, diese Freiheit zu verteidigen ist nicht nur berechtigt, es ist auch Verpflichtung. Da schwang das AFD-Parteiverbot nicht nur ein bisschen mit. In der Welt der Stiftungen, in der sich viele Menschen engagieren, die dem Guten zuneigen, die andererseits sich oft, zu oft fragen, ob sie nicht etwas falsch machen,
in der also die angepassten Kinder ein weit verbreiteter Typus ist, in dieser Welt ist es eine wichtige Aufforderung, eine erlaubende Konfrontation – und es war eine hochwillkommene Botschaft. Am Ende der Stunde gab es stehenden Applaus für unser ehemaliges Staatsoberhaupt (was er auch genossen hat, zu recht).
Wenn jemand auf hohem Niveau Inspirationen und Stoff zum Nachdenken suchte, dann war er/sie hier richtig. Annette Heuser interviewte Florian Illies zu seinen Büchern über die Zeiten des Umbruchs – also 1913 und Liebe in Zeiten des Hass – und ob oder wie weit die Parallelen zu den heutigen Tagen zu ziehen sind. Sie sind es und sie sind es nicht. Florian Illies wies daraufhin, dass im Sommer 1913 keiner einen Krieg hat kommen sehen, der ganz Europa in Mitleidenschaft ziehen wird. Selbst in Sanary sur Mèr, ein Ort in der Provence, in der die bereits Geflüchteten
Intellektuellen und Künstler aus Deutschland Ende der Zwanziger Jahre zusammen kamen, auch dort waren viele davon überzeugt, der Nazispuk werde schon bald wieder vorüber sein. Thomas Mann war einer von ihnen. Geschichte wird eben rückwärts interpretiert, die großen Linie lassen sich dann wunderbar in den Gang der Ereignisse hinein legen. Sie wird aber vorwärts erlebt, besteht aus vielen Optionen, unordentlichen Gefühlen, Handlungen und Entscheidungen – und einer großen Unübersichtlichkeit.
Die Nachdenklichkeit von Florian Illies und die Bereitschaft die Menschen dieser Zeit in ihrer Menschlichkeit und in ihrer Zeit wahrzunehmen und zu portraiteren, lies mich spätestens jetzt empfinden, auf einer wichtigen und der richtigen Veranstaltung zu sein.
Eckart von Hirschhausen inszenierte den Abschluss des ersten Tages. Nach Warmlaufschwierigkeiten auf dieser Bühne lenkte er die Aufmerksamkeit auf die Spezie Mensch als Teil der Natur. Starke Bilder, starke Zitate von anderen
Prominenten, das Große Ganze und der relevante Beitrag vieler kleiner Initiativen aus der Stiftungswelt. Tue Gutes und rede darüber, so sein Motto. Es war ein Intro für Initiativen, die sich im Laufe der beiden Kongresstage mit ihren Projekten vorstellten.
Davon gab es viele und verdammt viele greifen wichtige und richtige Themen der Zivilgesellschaft auf. Ob es um die Entwicklung einer guten Zivilgesellschaft in Ostdeutschland geht durch Förderung und Qualifizierung von Changemakern und Social Entrepreneurs (Kinnings Foundation) oder um das intelligente Zusammenwirken von staatlichen und privatwirtschaftlichen Mitteln für gesellschaftlichen Start Up – Initiativen, wie es Projecttogether hinbekommen hat.
Die Luft war getränkt mit Inspirationen, mit Aufforderungen zur Kooperation oder einfach mit Bewunderung für das nachhaltige Engagement der Protagonisten. Deren Haltung, einfach mal loszulegen und nicht darauf zu bestehen, dass das jetzt die Lösung für die Welt sei, dass das Ausprobieren ebenso dazu gehört wie das Scheitern mit einer an sich guten Idee, war erfrischend und eben nicht klebrig, wie manche Erzählung von der Weltrettung.
Museum gab es dann doch. Gleich schräg gegenüber der Kreuzung erhob sich der weiße Zuckerwürfel des Reinhard Ernst Museums. Lebendig machte es der Gründer und Stifter in seiner Erzählung, einer Lebenserzählung vom Unternehmerwerden bis zum Stiftersein.
Am Abend des 21. Mai wurde in Washington ein junges jüdisches Paar von einem Attentäter erschossen. Weil sie Juden waren. Dieser Teil der Realität war auch präsent. Die Schweigeminute für die beiden Opfer war eine Geste und so schloß sich ein Bogen zum Auftakt der Tage. Die Verletzlichkeit in der offenen Gesellschaft, der Verletzlichkeit der offenen Gesellschaft – und der deutlichen Aufforderung diese zu verteidigen, das lag in dieser Minute des Schweigens.
Diese Tage, Kulenkampf hätte wohl gefallen, was in seinem Wohnzimmer passiert ist.
Joachim Karnath
Karlsruhe, den 23. Mai 2025
P.S.: für alle spät und später geborenen, die Hans-Joachim Kulenkampff nicht mehr kennen, empfehle ich den Wikipedia Eintrag zu ihm und auch den Film „Kulenkampffs Schuhe“ von 2018